Hessen – Vorlesetag – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Bekämpfung des Analphabetismus muss prominenten Platz in der Politik haben

Hessen / Wiesbaden – Im Vorfeld des bundesweiten Vorlesetags der Stiftung Lesen am 21. November hat sich der Landes- und Fraktionsvorsitzende der hessischen SPD Thorsten Schäfer-Gümbel dafür ausgesprochen, dem funktionalen Analphabetismus den Kampf anzusagen.

„Allein in Hessen zählen der LEO-Studie der Uni Hamburg zufolge 547.000 Menschen zu der Gruppe der sogenannten funktionalen Analphabeten. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Kassel und Wiesbaden zusammen. Sie alle haben in ihrer Schulzeit nicht die Fähigkeit erworben oder verlernt, zu lesen und zu schreiben.

Damit können sie an vielen Bereichen des sozialen Lebens nicht oder nur unzureichend teilhaben. Das ist für uns nicht hinnehmbar. Analphabetismus muss prominenter in das Bewusstsein der politisch Handelnden gerufen werden. Doch das allein reicht nicht. Es geht auch darum, Menschen für das Problem so zu sensibilisieren, dass Analphabetismus kein Tabu mehr ist. Nur so wird für die Betroffenen die Hürde gesenkt, sich helfen zu lassen und Hilfe anzunehmen“, sagte der SPD-Politiker im Anschluss an ein Gespräch mit den Vertretern des Volkshochschulverbandes und der Sprecherin für Erwachsenenbildung Kerstin Geis, der stellvertretenden Verbandsdirektorin des Hessischen Volkshochschulverbandes, Dr. Christiane Ehses und der Leiterin der vhs Region Kassel, Katharina Seewald.

Ein bundesweiter Vorlesetag sei ein wichtiger Beitrag, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, sagten Ehses und Seewald. Allein aber bleibe er nur ein stiller Appell ohne Wirkung.“Die Volkshochschulen in Hessen erreichen durch ihre Mittel derzeit jährlich etwa 6.000 Menschen mit ihren Maßnahmen und Angeboten zur Alphabetisierung. 90 Prozent der Alphabetisierungskurse werden dabei von den Volkshochschulen angeboten. Dabei sind wir aber das letzte Glied in der Kette.

Denn wenn die Menschen bei uns in den Kursen sitzen, haben Sie ihr Defizit bereits erkannt und arbeiten damit. Wichtig ist aber, Menschen mit Lese- und Schreibschwäche überhaupt zu motivieren, Lesen zu lernen. Das bedeutet, dass etwa auch in Betrieben, in den Jobcentern aber auch im familiären Umfeld aufmerksamer mit dem Thema umgegangen wird. Durch die demnächst bereit stehenden ESF-Mittel werden in Hessen 1,8 Millionen Euro zusätzlich für Grundbildung und Erwachsenenbildung eingesetzt. Dies ist ein guter Anfang, es bedarf aber des Einsatzes von etwa 5.000 Euro, um einen Analphabeten zu alphabetisieren“, so die beiden Volkshochschulvertreterinnen.

In den vergangenen Jahren habe man sich aber nicht um den Ausbau insbesondere der Erwachsenenbildung bemüht, sondern diese eher ausgeblutet, kritisierte Geis. „Nicht die Verbesserung der Angebote stand im Fokus, sondern die Streichung von Mitteln. Neben einer angemessenen Ausstattung der Volkshochschulen, die der entscheidende Träger von Maßnahmen gegen den Analphabetismus sind und sein müssen, braucht es vor allem eine Antwort auf die zugrunde liegende Systemfrage. Es braucht die Schaffung eines kulturfreundlichen Klimas. Allein das kleine Island kann für Deutschland hierbei beispielgebend sein. Hier kann tatsächlich von einer lese- und schreibfreundlichen Kultur die Rede sein. Von klein auf wird in Island mit hohem Aufwand und gezielten Programmen die Begeisterung für das Lesen und Schreiben geweckt und gefördert.

In Deutschland kann man die Bemühungen nur halbherzig und als nicht nennenswert beurteilen. Förderlogiken sind bislang noch zu sehr defizitorientiert. Es sei fraglich, ob es der richtige Weg sei, auf vermeintlich sozial ausgeschlossene Menschen mit Lese- und Schreibdefiziten zu fokussieren. Produktiver sei eine Strategie der Grundbildung für alle, die die Kompetenzen in den Blick nimmt und ressourcenorientiert arbeitet. Vielmehr geht es doch um möglichst umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Möglichkeiten, um die Erweiterung von Handlungsfähigkeiten und um Chancen, die breit gefächerten Kompetenzen eines jeden und einer jeden zu stärken“, sagte Geis.

Die Landtagsfraktion der SPD Hessen setze sich für ein radikales und nachhaltiges Umdenken ein, damit Bildung und insbesondere der Kampf gegen den Analphabetismus einen angemessenen Stellenwert erhält, betonte Schäfer-Gümbel. „Wir fordern nach der Erörterung mit dem Volkshochschulverband flächendeckende niedrigschwellige Angebote zur Alphabetisierung und ein spürbares Vorgehen gegen die Stigmatisierung und Benachteiligung von Menschen mit Lese- und Schreibdefizit. Hierzu zählen sämtliche fördernde Maßnahmen, die infrastrukturell, organisatorisch und auf die Lebenswelt bezogen darauf ausgerichtet sind, Menschen mit Grundbildungsbedarf zu begleiten, zu fördern und zu beraten“, so Schäfer-Gümbel.

Geis bekräftigte, quartiersbezogene Ansätze wie Lernwerkstätten und Lerncafès oder Grundbildungszentren, wegen ihrer vielfältigen Alltagsbezüge voranzutreiben. „Dazu gehören auch konzeptionelle Settings, die von Ansprache bis Qualifizierungen flächendeckend und individuell im privaten, beruflichen, kommunalen und sozialen Umfeld ansetzen können. Ähnlich wie bei der interkulturellen Öffnung sind nicht isolierte Maßnahmen erfolgsversprechend, sondern ein Gesamtensemble von Personal- und Organisationsentwicklung, dass die handelnden Personen, ihre Organisations- und Kooperationsstrukturen umfasst und verändert“, so die Bildungspolitikerin.

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Text: Gerfried Zluga-Buck
Stellv. Pressesprecher
Parlamentarischer Referent Petitionen
SPD-Fraktion im Hessischen Landtag
Schlossplatz 1 – 3, 65183 Wiesbaden

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